Transit I
Die abstrakt anmutenden vertikalen Bilder sind expressive Darstellungen eines Herbstwaldes mit all seinen Farben, Linien und Strukturen. Die kleineren, horizontal ausgerichteten Arbeiten, stellen hingegen Wasseroberflächen dar. Es lohnt sich, den Weg zu skizzieren, der zu den „Transit“ Arbeiten führte. Über das „Rheinprojekt“ kam Kaluza zur Landschaftsmalerei; daraufhin folgte das Verschwinden der Formen in der Malerei. So wurden die Landschaften stetig abstrakter, das „Wasser“ durchsichtiger; so verlor sich in den Bildern alles zunehmend im weißen Nichts. Von dort, der fast reinweißen Leinwand, in der Art einer „Stunde Null“, konnte nur ein radikaler Wechsel hin zu einer eher strukturellen Auffassung neue Ideen zulassen. Die aktuellen Darstellungen des Waldes leben umso mehr von der Spannung zwischen Linearität und expressiver Malweise; die Linien und Strukturen grenzen nun den Raum ein, in dem das emotionale Chaos sich ereignen kann. Aber nur durch die Begrenzung wird dieser Vorgang erkennbar und spürbar bedeutungsvoll. Die Überzeugung, dass die Begrenzung unseres Daseins, unseres Denkens, unserer Sprache und unseres Vorstellungsvermögens unser Handeln determiniert, ist für Kaluza ein zentrales Thema. Es ist der immer gleiche starke Rhythmus von Licht und Schatten, Kontrasten und Dualität, der den Werken Kaluzas innewohnt, und deren Intensität sich aus einem ganzheitlichen Verständnis des Intermedialen nährt. Sein Sujet folgt einer Dualität, die Spannung hervorruft. Was auf den ersten Blick einer unergründlichen Front aus Farbe gleicht, entpuppt sich nach und nach als hochgewachsene Bäume, Erdreich, Licht und Schatten. Diese vordergründige Kulisse fordert einen geradezu heraus, sie zu ergründen und ihre Geheimnisse zu lüften, denn der Künstler gewährt uns keine Tiefenperspektive, keinen Fluchtpunkt. Was bedeutet uns der Wald, was bedeutet er in dieser Malerei? Früher symbolisierten Wälder Schutz, Nahrung und Wasser, aber auch Gefahren und geheimnisvolle Undurchdringlichkeit.
Wie der Wald, so versteht sich auch Wasser als Symbol. Ein Fluss schafft Identität, er bietet Grundlage für kommunale Existenzen, Handel und Heimat. Als visuelle Inspiration für die Wasserbilder dienten ebenfalls die vorangegangenen Fotoprojekte. Kaluzas Fotografien sind so lang, dass man sie nur schwerlich an einem Stück ausstellen kann, daher wird dem Betrachter ein Gitter aus Bildstreifen präsentiert. Diese Art der Darstellung ist nicht weit entfernt von der horizontalen Gliederung der abstrakten Wasserbilder, deren Struktur diesem Prinzip verwandt zu sein scheint.
Die Natur, für viele versponnen, mystisch, bedrohlich, chaotisch, ist für Stephan Kaluza aber besonders auch ein möglicher Rückzugsort einer unbedarften Kindheit, denn nur dort findet sich ein reines Dasein ohne die späteren Begrenzungen einer medial verorteten Welt; in dieser Weise ist das Idyll immer rekursiv und einer malerischen Sehnsucht zutiefst verwandt, die bereits zur Zeit der Romantik vorherrschend war; die Natur als Fassade und Struktur, als Muster und Anleitung zum Verständnis eigener Sehnsüchte, und damit auch eine Anleitung zum Verstehen des Lebens im Allgemeinen.
Isabelle von Rundstedt