Felder II
Die Bilder in Auschwitz entstanden im Sommer 2014.
Der Fluss Sola durchquert die Stadt; nur wenige Meter von der Gedenkstätte Auschwitz I entfernt zeigt er sich von seiner idyllischen Seite, nahezu märchenhaft, baumbestanden, naturbelassen, - und stellt somit ein Erholungsgebiet für die Bewohner Oswiecims (Auschwitz) dar.
Der Blick richtet sich diesmal nicht auf den Ort selbst, die Aufnahmen zeigen den Blickwinkel von der Gedenkstätte aus, - das, was man sieht, wenn man an den Zäunen und Wachtürmen des ehemaligen Konzentrationslagers entlanggeht, wenn man die angrenzende Straße überquert und auf die Auenlandschaft der Sola schaut; - eine „Bilderbuchidylle“, die landsläufigen Postkartenmotiven gleicht. Dieses, von der Kamera visualisierte Idyll, kollidiert zwangsläufig mit dem Bewusstsein, sich an einem Ort zu befinden, dessen Name für das Grauen und für das menschliche Leid schlechthin steht; derart irritieren die Aufnahmen, entsprechen sie doch in keiner Weise den bekannten und trainierten Bildern von Auschwitz. Den badenden Menschen ist eben dieses Grauen der Vergangenheit nicht anzusehen, ebenso wenig der sie umgebenden Natur; scheinbar unbeirrt nimmt das Leben seinen Lauf und in dieser Unbefangenheit offenbart sich die Ohnmacht der Zeit, - ein Sein, das über allem steht, selbst über die Abgründe der Geschichte. Es sind sachliche Aufnahmen, scheinbar rein fokussiert auf ein präzises Festhalten der vorgefundenen Situationen, ohne Kommentare, ohne irgendeine Form der kompositorischen Überhöhung. Kaluzas Fotos geben kein subjektiviertes Sehen frei, sondern läutern dieses gleichsam im Blick über die Landschaft. Oftmals schweift der Blick über weitläufige Landschaften, freies Ackerland oder lange Strände. In der Weite der Aussicht liegt zugleich die Bedeutung für das Ausmaß von Wahrnehmung wie sie zugleich umgekehrt auch die Unmöglichkeit verkörpert, diese noch erinnernd zu rekonstruieren. Mit geradezu elegischer Breite und Tiefe umkreisen seine Landschaftsaufnahmen scheinbar den romantischen Topos der Landschaftsidylle oder des Überblickprospektes, wie dies in der auf eine erhabene Unendlichkeit hinweisenden Natur in den Werken von Caspar David Friedrich deutlich wird. Idylle und Unendlichkeit sind zwei Antipoden. Mit beiden Topoi operiert Stephan Kaluza in seiner Beschäftigung mit der historischen Relevanz für die eigene Gegenwart. Es ist nicht zu viel gesagt, dass er durch seine Aufnahmen dieser Stätten ganz unmittelbar die Allumfassenheit von Erinnerung zur Disposition stellt. Das bedeutet zugleich, dass man bei Stephan Kaluza zu Recht hinterfragen könnte, ob es etwas in der Kunst gibt, was man mit der Ästhetik der Negation bezeichnen könnte. In seinen Fotoarbeiten spielt sich das eigentliche Geschehen nicht real im Bild selbst ab, sondern bedarf der wissenden Ergänzung durch den Betrachter. Dieser wird deshalb nicht zum Akteur eines Handlungsgeschehens innerhalb des Bildes und auch nicht verwiesen auf seine Rolle als außerhalb des Bildes stehender Voyeur, sondern zum Reaktivator des Erinnerns. Erst wenn dieser um die Bedeutung des Ortes weiß, der sich sichtbar vor seinen Augen entfaltet, wenn er also tatsächlich zum Teil dieser sich vor ihm ausbreitenden Übersichtslandschaft wird, dann bedarf es seiner Erinnerung an die historischen Schlachten oder die Gräueltaten des NS-Regimes, um die Sinnhaftigkeit des Fotowerks zu begreifen.
Beate Reifenscheid, Direktorin Ludwig Museum Koblenz