Bildstücke

Es lag nahe, dass Kaluza, der auch Autor ist, das Prinzip der Abfolge, der Aneinanderreihung von Zentralperspektiven, ebenso auf menschliche Handlungen übertrug: In den „Bildstücken“, eine Wortkombination aus Bild und Theaterstück, lichtete er Szene um Szene von eigenen Theaterstücken ab und setzte sie wie gehabt zu einem langen, narrativen Bildstreifen zusammen. Pro Bildstück entstehen mehrere tausend Fotografien eines Bühnengeschehens, die im Anschluss zu einem solch nahtlosen Bildstreifen aneinandergesetzt werden. Am Anfang eines jeden Bildstücks steht das textalische und bildnerische Konzept. Gleich einem Theaterstück werden die Dialoge der Protagonisten vom Künstler verfasst, ebenso wird die Szenerie und der Bühnenraum realisiert. Während der darauf folgenden real aufgeführten Inszenierung wird die Darstellung von einer zentral positionierten Kamera im Sekundentakt fotografiert.

Die Arbeitsweise zur Erstellung dieser Bilder mag filmisch anmuten, das finale Ergebnis ist jedoch ein anderes. – Es besteht aus einem einzigen Bildraum, in dem die einzelnen Szenen der Handlung ineinandergreifen. – Indem den einzelnen Fotos ihre horizontalen Ränder genommen werden, hört ebenfalls die zeitliche Begrenzung der jeweils singulären Fotos auf zu sein - zugunsten der Einheit von Zeit und Raum des Gesamtbildes. Die Fotos werden zwar zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen, ebenso dokumentieren sie die Chronologie der Handlung, dennoch aber kann das statische Gesamtbild in einer Ausstellung „auf einen Blick“ wahrgenommen werden. In diesem Sinne avancieren die auf den Fotos sichtbaren Handlungen zu einer rhythmischen Form im Kontext des Bildstückes. Z.B. die Aneinanderreihung der handelnden Protagonisten erweckt diesen Eindruck des Rhythmischen, ebenso wie die stetige horizontale Wiederholung der Bühnenästhetik für den Eindruck einer übergroßen (Meta-)Bühne sorgt.

Derart ist die Handlung dieser Szenen nun linear „erlesbar“; man kann die Reihung verfolgen, ohne auf Sprache angewiesen zu sein und ohne logisch vorgehen zu müssen – ein Bildstück kann in einigem Abstand durchaus als ein Gesamtes wahrgenommen werden - oder aber man erfasst die Mitte oder das Ende vor dem Anfang; ein simultanes Erfassen aller Bildsequenzen ist somit wiederholt durch das bewusste Ausschalten des Faktors Zeit möglich geworden. Im Folgenden einige Beispiele solcher Bildstücke.

 

Ribbentrops Wohnzimmer (Ausschnitt)

Das Bildstück zeigt die periodischen Schritte des Aufbaus und des Untergangs historischer Eliten an. Nach Pareto ersetzt eine Elite die alte, um im Anschluss dieselben Schritte zur Machterhaltung und Machtgestaltung zu unternehmen wie die vorherige. Die politische Geschichte versteht sich so gesehen nicht als linear (und ethisch lernfähig), sondern als zirkulierend.

  • ausgestellt im Zendai MoMA, Shanghai, 2007
  • ausgestellt auf der Art Cologne 2006 (One-Man-Show, Galerie Michael Schultz, Berlin)
  • ausgestellt in der Park Ryu Sook Gallery, Seoul, 2007

 

Drohnen (Ausschnitt)

Die Vorlage zu „Drohnen“ bildet die Legende des byzantinischen Königsmords, die besagt, dass ein Thronfolger seine verwandten Rivalen von eigener Hand zu töten hatte. Die Bildmitte besteht aus einem Altar, auf dem ein zugedecktes Kind liegt. Die Versuche des Protagonisten, das Kind zu ermorden, scheitern an seiner zunehmenden Verzweiflung. Je unfähiger er dazu wird, um so mehr rücken die seitlichen Wände heran, bis sie nur noch einen schmalen Handlungsspielraum übrig lassen, der dem Protagonisten keine Wahl lässt und ihm somit zum Mord zwingt.

  • ausgestellt im Kunstverein Konstanz/Ravensburg, 2007
  • ausgestellt im Museum oft he Seam, Jerusalem, 2010

 

Cages (Ausschnitt)

Die Interpretation „Cages“ basiert auf der Trilogie „Die Orestie“ des Aischylos (Uraufführung 458 v. Chr.). „Cages“ stellt den Versuch dar, mit rein bildlichen Mitteln die antike Tragödie nachzuvollziehen und neu zu interpretieren. Die Grundästhetik des Stückes liegt in der Gegenüberstellung vieler Personen (der „Chor“ in den hinteren Käfigen) zu den einzelnen Protagonisten im Vordergrund der Bühne.

  • ausgestellt in der Galerie Walter Storms, München, 2008
  • ausgestellt im Museum oft he Seam, Jerusalem, 2010

 

Komödie (Ausschnitt)

Ähnlich wie in „Drohnen“ stellen auch hier die mittig näher rückenden Wände die Bildästhetik dar. Am festlich gedeckten Tisch in der Mitte der Bühne wird eine „Orgie“ zelebriert, die Akteure ergehen sich im Feiern, ohne auf das Zusammenrücken der bläulichen Wände zu achten. Sie fahren damit selbst dann noch fort, als ihr Aktionsraum minimal wird, bzw. später zur Gänze verschwindet.

  • ausgestellt in der Galerie Walter Storms, München, 2008
  • ausgestellt in der Galerie Felix Ringel, Düsseldorf, 2008

 

Rheinfahrt (Ausschnitt)

Das Bildstück basiert auf dem Gedanken, die Handlung in einzelne Zeitabschnitte, markiert durch transparente Plexiglasscheiben („Zonen“), zu unterteilen, um somit eine gesamte Parallel-Handlung zeigen zu können. – Das Stück beginnt im hinteren Bereich der Bühne; nachdem die 1. Szene erfolgte, wird in der gesamten Breite der Bühne eine Plexiglasscheibe platziert. Die 2. Szene erfolgt nun vor dieser Scheibe und der sich weiterhin wiederholenden ersten Szene. Ebenso wird mit der zweiten Szene verfahren, im weiteren Verlauf dann mit allen folgenden Szenen. Auf diese Weise spielt sich das Stück nach und nach dem Bühnenvordergrund entgegen.

  • ausgestellt in der Galerie Felix Ringel, Düsseldorf, 2008
  • ausgestellt in der Galerie Michael Schultz, Berlin, 2009

 

Ausgang (Ausschnitt)

Das Stück ist mit surrealistischen Elementen versehen. Der Bühnenhintergrund wird durch eine Art Koordinatensystem gebildet. Im Verlauf des Stückes lösen sich die Protagonisten aus der realen Bühne und werden zu Figuren auf diesen Koordinatenlinien und Punkten. Ebenso wird ihr Tun von seitlichen Spiegeln gespiegelt; - die absehbare nächste Handlung ist bereits vorher dort zu sehen.

 

Sentenz (Ausschnitt)

Der schwarz-weiße Hintergrund des Bildes besteht aus einer endlos scheinenden, sich stetig wandelnden Landschaft. Sie beginnt mit der gezeichneten Interpretation der Genesis, verändert sich dann zu einer, wie aus der Urzeit anmutenden Urwaldlandschaft, die zu einer urbanen Szenerie avanciert. Der Vordergrund des Bildstückes besteht aus einem durchgehenden roten Balken, auf dem der Protagonist seine Geschichte erlebt; - der Mensch wandert vor diesem Hintergrund über den roten Balken, wie in einem Kino nimmt er die Veränderung der Umgebung wahr. Auf dem Balken selbst begegnen ihm die Phantasmen (Mythen/Märchen) der Gesellschaft: - Kommunikation, Begierde, Liebe, das Relevante, die Moral/Ethik, Krieg und Frieden (...).